Rahmenmaterialien für den Tourenradfahrer
Wusstest Du, dass
- Aluminiumrahmen einen unbequemen Ausritt bescheren?
- Titanrahmen weich und volatil sind?
- Stahlrahmen mit der Alter weicher werden, jedoch einen bessere Fahrqualität haben?
- die Königin von England, Elisabeth II., eine Schlüsselfigur im internationalen Drogenhandel ist?
Alle oben aufgeführten Aussagen sind gleichermaßen falsch!
Es gibt einen erstaunlich großen weit gestreuten, folkoristisch "gebräuchlichen Wissensschatz" über Fahrradrahmen und -materialien, der keiner faktischen Überprüfung standhält.
In Wirklichkeit kann man aus jedem der oben genannten Materialien (außer Drogen und Königinnen) sehr gute Rahmen herstellen, die den gewünschten Fahreigenschaften entsprechen - insofern man die passenden Rohrdurchmesser, -wandstärken und Rahmengeometrien wählt.
Formsteifigkeit, Beanspruchbarkeit und Gewicht
Beanspruchbarkeit und Formsteifigkeit sind unterschiedliche Eigenschaften, die häufig miteinander verwechselt werden. Es ist unabdingbar, den Unterschied zu kennen, wenn man die Verschiedenheit der Rahmenmaterialen verstehen will.
Wenn Du das eine Ende einer Metallstange in einem Schraubstock klemmen und am anderen Ende ein Gewicht hängen würdest, dann böge sich diese Stange vorübergehend. Sobald Du das Gewicht wieder entferntest, kehrte die Metallstange wieder in ihre Originalform zurück.
Unterschiedliche Materialien biegen sich bei gleichem Kraftaufwand unterschiedlich weit. Diese Eigenschaft nennt man Formsteifigkeit.
Wenn man nun soviel Gewicht an diese Metallstange hängen würde, dass das Material sich komplett verböge und nicht mehr in seinen Originalzustand zurückkehrte, sondern verbogen bliebe, hätte das Material nachgegeben.
Unterschiedliche Materialen vertragen unterschiedlichen Kraftaufwand, bevor sie nachgeben. Diese Eigenschaft nennt man Beanspruchbarkeit.
Formsteifigkeit
Formsteifigkeit beeinflusst die Fahreigenschaften eines Fahrradrahmens, da ein Rahmen von normaler Belastung keine permanente Deformation erleidet.
Die Formsteifigkeit wird mit einer Eigenschaft des Materials namens Elastizitätskoeffizient bestimmt. Der Elastizitätskoeffizient ist fast unabhängig von der Qualität des Metalls oder seinen Legierungselementen. Alle Stahlarten haben demnach ungefähr den gleichen Elastizitätskoeffizienten.
Beanspruchbarkeit
Beanspruchbarkeit bezieht sich auf die generelle Haltbarkeit eines Rahmens, hat jedoch keinen Einfluss auf die Fahreigenschaften. Beanspruchbarkeit wird mit einer Eigenschaft namens Streckgrenze bestimmt. Die Streckgrenze wird im Wesentlichen durch die Qualität, Hitzebehandlung und Legierungselemente in einer bestimmten Rohrart beeinflusst.
Gewicht
Die dritte Eigenschaft eines Rahmenmaterials ist sein Volumengewicht. Das wird durch das spezifische Gewicht bestimmt.
Wie die Formsteifigkeit wird auch das spezifische Gewicht nicht wesentlich durch Legierungselemente verändert. Auch wenn Du einen Aufkleber Lite Steel (TM) findest, wirst Du feststellen, dass Stahl genauso schwer wie Stahl ist.
Kombination der drei Eigenschaften
Für die drei gebräuchlichsten Rahmenmaterialen ergibt sich demnach folgende Vergleichstabelle:
Material | Elastizitäts- modul (MPa ) |
Zugfestigkeit (MPa) |
spezifisches Gewicht (g/cm³) |
---|---|---|---|
Aluminium | 70 000 | 49-700 | 2,7 |
Stahl | 210 000 | 235-2000 | 7.85-7.87 |
Titan | 105 000 | 300-1200 | 4.5 |
Anmerkung: Der Elastizitätsmodul (E-Modul) und das spezifische Gewicht sind im wesentlichen unabhängig von der Qualität, der Hitzebehandlung oder Legierungsanteile der Metalle. So haben zum Beispiel alle Stahlrahmen von den Wasserrohren, die bei Baumarkträdern zum Einsatz kommen, bis hin zu den exotischen Legierungen von superteuren Maßrahmen einen E-Modul um die 210 000 MPa und ein spezifisches Gewicht von 7,85 g/cm³.
Jeder, der Dir erzählen will, dass eine bestimmte Stahlsorte (oder Aluminium- oder Titansorte) leichter oder steifer sei als eine andere Sorte, verbreitet nur heiße Luft.
Jedoch gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Zugfestigkeiten (Streckgrenze, Dehngrenze) der einzelnen Qualitätsstufen der Rohre.
Der E-Modul zeigt Dir, dass Du bei exakt gleicher Bauweise dreier Rahmen aus den drei Materialen mit gleichem Rohrdurchmesser und gleicher Rohrwandstärke ein Aluminiumrahmen etwa ein Drittel so stief wäre wie der Stahlrahmen. Der Titanrahmen hätte rund 50% der Steifigkeit des Stahlrahmens.
Der Wert der Zugfestigkeit zeigt, dass der Aluminiumrahmen wesentlich schwächer wäre - sprich: früher brechen würde - als der Stahl- oder Titanrahmen.
Das spezifische Gewicht sagt aus, dass der Aluminiumrahmen rund 30% und der Titanrahmen rund 60% des Stahlrahmens wiegen würde.
Diese Vereinfachungen dienen hier nur zur Veranschaulichung, da man niemals drei Rahmen aus den drei Materialien mit den gleichen Rohrdimensionen bauen würde.
Echte Fahrradrahmen sind natürlich je nach Eigenschaft des Rahmenmaterials anders aufgebaut, indem man unterschiedliche Rohrdurchmesser und -wandstärken für die einzelnen Teile des Rahmens wählt. Die Formsteifigkeit wird wesentlich durch den Rohrdurchmesser bestimmt. Die Beanspruchbarkeit wird wesentlich durch die Rohrwandstärke bestimmt, wobei der Rohrdurchmesser auch eine Rolle spielt. Das Gewicht wird durch die Menge des Materials bestimmt.
Ein Rahmenhersteller kann Varianten herstellen, indem er verschiedene Rohrdurchmesser und -wandstärken wählt. Dadurch wird ein Rahmen formsteifer, beanspruchbarer oder leichter.
Stahl kontra Titan
Wirf noch einmal einen Blick auf obige Tabelle. Du wirst erkennen, dass identische Stahl- und Titanrahmen in etwa gleich beanspruchbar sein würden. Jedoch würde der Titanrahmen nur ca. 60% des Gewichts und 50% der Formsteifigkeit haben.
Ein solcher Rahmen würde sich mangels Formsteifigkeit sehr volatil anfühlen, vor allem bei hoher Beladung. Um das zu kompensieren, werden Titanrahmen normalerweise mit größeren Rohrdurchmessern gebaut, um die Formsteifigkeit soweit zu erhöhen, dass der Rahmen ein sicheres Gefühl gibt. Da sich dadurch das Gewicht erhöht, werden die Wandstärken der größeren Rohre wieder verkleinert. Das reduziert das Gewicht wieder, so dass der Rahmen immer noch weniger wiegt als ein entsprechender Stahlrahmen.
Stahl kontra Aluminium
Bei Aluminium ist die oben beschriebene Ausgangssituation sogar noch verschärft. Ein identischer Aluminiumrahmen hätte nur ca 30% der Formsteifigkeit, ca. 50% Beanspruchbarkeit und rund 30% des Gewichts des Stahlrahmens. Daher haben die meisten Aluminiumrahmen deutlich größere Rohrdurchmesser und -wandstärken, um mit guter Formsteifigkeit und Beanspruchbarkeit zu punkten. Dies resultiert dann insgesamt immer noch in einem leichteren Rahmengewicht als bei vergleichbaren Stahlrahmen.
Großer Rohrdurchmesser und dünne Rohrwandstärke
Die Vorteile großer Rohrdurchmesser können theoretisch auf Stahlkonstruktionen angewandt werden. Es gibt jedoch eine praktische Hürde. Man kann Stahlrahmen mit mehr als fünf Zentimetern Rohrdurchmesser bauen, die eine sehr hohe Formsteifigkeit aufweisen - tatsächlich jedoch höher als irgendjemand braucht. Zudem kann man das Gewicht stark reduzieren, indem man die Wandstärken sehr dünn wählt. Warum wird das nicht gemacht? Das hat im Wesentlichen zwei Gründe:
- Je dünner die Wandstärke, desto schwieriger ist es, die Rohr zu verbinden. Daher werden konifizierte Rohre benutzt, bei denen die Wandstärken zu den Rohrenden hin dicker werden, damit man sie dort besser mit anderen Rohren verbinden kann.
- Wenn die Wandstärken zu dünn werden, können die Rohr sehr leicht verbeult werden. Zudem böten sie Verbindungspunkten für Flaschenhalter, Schaltzugführungen und ähnlichen nur unzureichenden Halt.
Formsteifigkeit und Fahrverhalten
Die Formsteifigkeit des Rahmens (bzw. das Fehlen dieser) hat keinen so großen Effekt auf das Fahrverhalten, wie viele Leute glauben mögen. Schauen wir uns das Ganze aus drei Perspektiven an.
Torsions-/Lateralsteifigkeit
Die Torisions- bzw- Lateralkräfte werden zum großen Teil durch das Pedalieren aufgebracht. Jeder Rahmen wird um das Tretlagergehäuse herum durch die Kräfte des Pedalierens ein kleines Stück gebogen. Dieses Biegen kann man spüren und viele Fahrradfahrer denken, dass es Kräfte vergeudet. Tatsächlich stimmt das nicht, denn Metalle, die für den Rahmenbau verwendet werden, sind sehr effektive Federn. Die Energie wird am Ende des Kraftaufwands wieder zurückgeführt. Daher geht so gut wie keine Energie verloren. Es gibt also keinen echten Effizienzverlust durch einen biegsamen Rahmen (wenig Formsteifigkeit). Jedoch wird das Gefühl des flexenden Rahmens als unangenehm empfunden und daher bevorzugen viele Radfharer Rahmen, die in der Antriebsgegend formsteifer sind. Das trifft eher auf große, schwere Fahrer zu und solche, die häufig in den Pedalen stehen.
Die laterale Formsteifigkeit ist auch bei Tourenradlern, die mit schwerem Gepäck im hinteren Fahrradbereich unterwegs sind, von Bedeutung. Ein Rahmen, der in dieser Gegend zu sehr flext, wird als volatil bemerkt und tendiert dazu, bei hohen Geschwindigkeiten gefährlich zu oszillieren. Der Großteil der Biegung wird durch das Gepäckteil des Rads erzeugt, jedoch könne in den Sitzstreben genügend Torsionskräfte übertragen werden, dass dies die Situation noch verschärft.
Vertikale Formsteifigkeit
Da sich dieser Artikel mit Rahmen beschäftigt, wird nur der Aspekt von Stößen, die über das Hinterrad zum Sattel durchgereicht werden, behandelt. Die Fahreigeschaften am Lenker werden im Wesentlichen durch Gabel und Geometrie bestimmt und sind überwiegend unabhängig von der Rahmenmaterialwahl.
Der meiste Blödsinn, der über die verschiedenen Rahmenmaterialien verbreitet wird, ist der imginäre Unterschied in der vertikalen Formsteifigkeit. Es wird beheuptet, dass der eine Rahmen butterweich jede Unebenheit wegsteckt, während ein anderer Rahmen schon das Überrollen eines Harrisses in der Straße spürbar mache. So gut wie alle dieser "Unterschiede" sind entweder Placeboeffekte (sprich: eingebildet) oder werden durch andere Aspekte als die Rahemnmaterialwahl hervorgerufen.
Unebenheiten werden durch die Reifendecke über den Reifen, das Laufrad, die Sitzstreben, die Sattelstütze, den Sattelrahmen und schließlich die Satteldecke an den Fahrrer durchgereicht. Jede dieser Komponenten leiten mehr oder weniger die Energie ab, jedoch nie die gleiche Menge.
Der größte Teil der Absorption wird im Reifen aufgefangen, die zweitgrößte im Sattel. Wenn man bei einem kleinen Rahmen viel Sattelstütze herausgezogen hat, absorbiert auch die Sattelstütze mehr. Die Stoßabsorption von hoch qualitativen Laufrädern kann vernachlässigt werden. Die Sitzstreben sind der einzige Teil des Rahmens, der an der Weitergabe der Energie beteiligt ist. Sie übertragen die Energie genau in ihrer Verlaufsrichtung und sind in diese Richtung so formsteif, dass sie die Energie vollständig weitergeben.
Der einzige Teil des Rahmens, der zum "Federungskomfort" beitragen kann, ist das Sitzrohr, welches bei weit sugezogener Sattelstütze ein kleines Stück verbogen werden kann. Jedoch ist das Flexen des Sattelstützenteiles, das sich außerhalb des Sitzrohrs befindet, um ein Vielfaches höher zu bewerten.
Eine Rahmeneigenschaft, die einen weiteren Effekt bei Stößen haben kann, ist das hintere Dreieck des Diamantrahmens. Daher haben Tourenräder meist sehr lange Kettenstreben, um den Fahrer weit vor das Hinterrad zu positionieren. Kurze Kettenstreben geben Stöße stärker weiter. Das ist wie im Bus, in dem man weiter hinten sitzt. Wenn man näher auf den Hinterrädern sitzt, wird man mehr durchgeschaukelt.
Woher kommt Fahrkomfort
Wenn Du nach einem komfortablen Fahrrad suchst, sit es unsinnig, alleine das Rahmenmaterial zu fokussieren. Es gibt viele Komfortunterschiede zwischen einzelnen Fahrrädern, die durch folgende Gründe zu belegen sind:
- Reifenwahl
Breitere, weichere Reifen erzeugen meist mehr Komfort als jeder andere Aspekt eines Rahmens - zumal sie auch oft mit wesentlich geringerem Luftdruck gefahren werden können. Die meisten sportiveren Rahmen verhindern jedoch leider die Reifenwahl durch ihre extrem geringe Reifenfreiheit. Das wird gemacht, obwohl es keinen Performancevorteil für solche Entwürfe gibt. In diese Rahmen passen nur superschmale Reifen und das Fahrrad wird infolge dessen nie wirklich komfortabel. Siehe hierzu auch den Artikel über Reifen. - Sattelwahl
Mehr dazu im Artikel über Sättel. - Rahmengeometrie
Generell haben Rahmen mit längeren Kettenstreben und kürzerem vertikalen Sitz- und Steuerrohrwinkeln einen Komfortvorteil. Dadurch werden sie nicht langsamer, aber etwas schwieriger manövrierbar (bzw. etwas nervöser). - Sitzposition
Mehr dazu im Artikel Fahrradfahren und Schmerzen.
Carbonfaser
Carbonfasern wird im Ramenbau immer beliebter. Der Bauprozess läuft jedoch vollkommen anders ab als bei Metallrohre. Wegen der faserigen Struktur des Materials hat es ein völlig anderes Oberflächenbild als Metall. Ein gut entworfener Carbonrahmen hat seine Fasern so ausgerichtet, dass die größte Beanspruchbarkeit des Rahmens an den Punkten mit der größten Krafteinwirkung liegen.
Leider ist im Fahrradbau die Carbontechnologie noch nicht ganz so ausgereift wie Metallrohrverarbeitung. Fahrräder werden vielen verschiedenen Kräften aus allen möglichen Richtungen ausgesetzt. Sogar mit Computermodellierungen ist es nicht möglich, jede einzelne physikalische Komponente vorauszusagen. Carbon hat großes Potential. Jedoch haben zeitgenössische Carbonrahmen noch nicht die Zuverlässigkeit und Ausdauer gezeigt, die im harten Tourenradeinsatz nötig sind. Ein typischer Schwachpunkt sind alle Stellen, an denen Metallteile wie Gabelenden, Tretlagergehäuse, Steuersätze usw. mit dem Rahmen verbunden werden müssen. Diese Stellen können durch Korrosion geschwächt werden und zum Bruch führen.
Geometrie
In der Geometrie gibt es nichts, was so belastbar wäre wie ein Dreieck. Diamantrahmen werden grundsätzlich durch zwei Dreiecke bestimmt. Die Eleganz und Einfachheit dieses Designs kann nur schwerlich verbessert werden. Milliarden Diamantrahmen wurden in den letzten Hundert Jahren hergestellt und hunderttausende Menschen sind auf diesen Rädern gefahren und haben sich Gedanken gemacht, wie man die Leistung des Fahrrads noch verbessern könnte. Der aus Rohren geformte Diamantrahmen wurde so lange minimal verbessert, dass er inzwischen auf der Basis der verwendeten Materialien so gut wie perfekt ist.
Verbesserungspotenzial
Ausgereizt. Falls es einen großen Sprung im Rahmendesign geben sollte, muss er aus einem völlig neuen Konstruktionsprozess wie Carbon oder gegossenem Magnesium oder einem vollkommen neuen Design wie zum Beispiel Liegerädern kommen.
Alltagstauglichkeit
Alle oben genannten Materialen sind für Kurz- bis Mittelstreckendistanzen in Industrieländern gut brauchbar. Titan ist zwar teuer, aber das haltbareste Material. Aluminium und Stahl sind genauso exzellent. Aus Carbon werden allerdings keine Tourenräder hergestellt, behauptete Sheldon Brown im Jahre 2001.
Bei Langstreckenfahrten in weniger entwickelten Gebieten ist Stahl die erste Wahl. Im Falle eines Rahmenschadens kann hier jeder weiterhelfen, der Schweißen oder Löten kann.
Quellen
Dieser Artikel basiert auf einem Artikel von der Website von Sheldon Browns. Der Originalautor des Artikels ist Sheldon Brown. Die deutsche Übersetzung stammt von bikegeissel, der übersetzte deutsche Artikel ist auf Rahmenmaterialien_f%C3%BCr_den_Tourenradfahrer in Wikipedalia zu finden.
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