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Das lateinische Wort ''tristis'' geht wiederum auf das [[Altgriechische Sprache|altgriechische]] δρίμύς (''drimos'') zurück, das mit „durchdringend, scharf, herb oder bitter“ übersetzt wird.<ref name="osthoff">Hermann Osthoff: ''Morphologische Untersuchungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen.'' Olms, Leipzig, Nachdruck 1974. ISBN 3-487-05080-3</ref> Verwandtschaft scheint aber auch zum [[Altenglische Sprache|angelsächsischen]] ''priste'' in der Bedeutung „kühn, dreist“ und ''praestan'', das „drücken“ bedeutet, zu bestehen. [[Wurzel (Linguistik)|Sprachwurzel]] wäre dann ''treis'', das mit „pressen“ übersetzt wird.<ref name="lewis">Henry Lewis und Holger Pedersen: ''A Concise Comparative Celtic Grammar.'' 3. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1989. ISBN 978-3-525-26102-6</ref>
 
== Wahrnehmung des Tristen ==
Kunstwerke gelten dann als schön, wenn sie facettenreich, reichhaltig und sinnstiftend sind.<ref name="schurian">Walter Schurian: ''Psychologie Ästhetischer Wahrnehmungen''. Westdeutscher Verlag, Obladen 1986, Seite 61, ISBN 3-531-11793-9.</ref> Eine solche „schöne“ ästhetische Wahrnehmung lässt den Betrachter ein [[Glück]]s<nowiki>gefühl</nowiki> empfinden. So schrieb zum Beispiel [[Ludwig Wittgenstein]]:
 
: „''Und das Schöne ist eben das, was glücklich macht.''“<ref name="wittgenstein">Ludwig Wittgenstein: ''Schriften. Tagebücher 1914–1916''. Frankfurt am Main 1960, Seite 179.</ref>
 
Sparsame, abstrakte und triste Kunstwerke werden in der Regel als weniger schön empfunden und hinterlassen einen nachdenklichen, eher an die [[Kognition]] oder das formal-logische Denken im Sinne [[Jean Piaget|Piagets]] gerichteten, Eindruck. Sie erzeugen sogar eine eher traurige Stimmung.Sie erzeugen sogar eine eher traurige Stimmung.<ref name="schurian2">Walter Schurian: ''Psychologie Ästhetischer Wahrnehmungen''. Westdeutscher Verlag, Obladen 1986, Seite 71. ISBN 3-531-11793-9</ref>
 
Diese Verbindung von ästhetischem Eindruck und Emotion wird zum Beispiel in der [[Kunsttherapie]] verwendet, indem depressive Patienten angehalten werden, bunte Farben zu verwenden.
 
=== Alltag und Massenproduktion ===
[[Bild:Fiber optics testing.jpg|thumb|right|Die Gleichförmigkeit industrieller Massenproduktion steht in den Augen Vieler für Monotonie und Tristesse]]
Für viele Menschen ist der Begriff [[Alltag]] zum Inbegriff von Tristesse geworden. Ihnen fällt es schwer, sich an die Monotonie routinemäßig ablaufender Zeitzyklen zu gewöhnen. Insbesondere die Alltagsverliebtheit des abfällig bezeichneten [[Spießbürger]]tums und des [[Kleinbürger]]tums wird häufig als trist empfunden. Sie wurde Motiv vieler künstlerischer Umsetzungen; besonders [[Hermann Hesse]] ist bekannt für seine Hassliebe auf die [[Pedanterie]] der Bürgerlichkeit.
 
:„''Ich habe das gern, auf der Treppe diesen Geruch von Stille, Ordnung und Sauberkeit, Anstand und Zahmheit zu atmen, der trotz meinem Bürgerhass immer etwas rührendes für mich hat, und ich habe es gern, dann über die Schwelle meines Zimmers zu treten, wo das alles aufhört, …''“<ref name="hesse">Hermann Hesse: ''Der Steppenwolf.'' in ''Gesammelte Werke, Band 10.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987. Seite 208. ISBN 3-518-38100-8''</ref>
 
Oft wird auch die [[Fließbandfertigung]] und die industrielle Massenproduktion zur [[Metapher]] für das Gefühl der Tristesse. Die Vorstellung, unter Zwang immer wieder den gleichen Handgriff auszuführen, wirkt auf viele Menschen geradezu grotesk. Diese triste Umgebung wird zum Beispiel im Film [[Moderne Zeiten]] von [[Charles Chaplin]] karikiert.
 
== Tristesse in der Kunst ==
Auch wenn ein trister Eindruck in der Kunst generell eher unerwünscht ist, wurde die Tristesse immer wieder zum [[Sujet]], um eine gewisse Düsternis oder die menschliche Geworfenheit und Aussichtslosigkeit darzustellen.
=== Literatur – Bonjour Tristesse ===
1954 erschien in Frankreich ''[[Bonjour tristesse]]'', der erste Roman der 18-jährigen [[Françoise Sagan]] über die Trauer des Erwachsenwerdens. Ihr Buch wurde ein internationaler Bestseller und bereits 1958 durch [[Otto Preminger]] verfilmt ([[Bonjour Tristesse]]). Der Romantitel wurde im Deutschen zum geflügelten Wort.
 
=== Musik ===
In der [[Musik]] wird Tristesse vor allem durch [[Monotonie (Phonetik)|Eintönigkeit]] erreicht, aber auch schwere [[Moll (Musik)|Moll]]-Akkorde erzeugen beim Hörer ein düsteres, tristes Empfinden.
 
[[Bild:Water drop animation enhanced small.gif|thumb|left|[[George Brecht]] vertonte das Tropfen eines Wasserhahns]]
 
Das Empfinden von Musik ist aber sehr stark [[individuell]] und mit dem [[Zeitgeist]] verknüpft. Zum Beispiel galt [[Techno]], eine Musikrichtung, die stark auf das Stilmittel des [[Repetitives Arrangement|repetitiven Arrangements]] zurückgreift und der so durch ständige Wiederholung einzelner kurzer Fragmente eine gewisse Eintönigkeit innewohnt, in den 1990ern als Symbol für sexuelle Freiheit oder sogar [[Hedonismus]]. Fast 20 Jahre später hat sie diese Rolle aber eingebüßt und die innewohnende Tristesse steht stärker im Vordergrund, wie ein namenloser Kritiker bei einer CD-Kritik betont:
 
: ''Nun ''([[sic]])'' zehn Jahre später, hat das Modell Techno längst nicht ausgedient, ist aber wieder entweder in jene Subkultur zurückgekehrt, aus der es ursprünglich kam, oder feiert nach wie vor in Großraumdiscos ein gleichsam verwässertes wie schales Dasein, das an biederer Tristesse wohl gemeinhin nicht zu überbieten ist.''<ref name="pro7">[http://www.prosieben.de/music_cd/showmusic/index.php?6331 CD-Kritik auf Pro7.de]</ref>
 
[[Joachim Bessing]] beschreibt in seinem Buch ''Tristesse Royal'' sogar,<ref name="bessing">Joachim Bessing: ''Tristesse Royal. Das popkulturelle Quintett. '' List, Berlin, 2001. ISBN 3-548-60070-0</ref> dass die Empfindung von Musik stark von den Menschen abhängt, die diese Musik hören. So schreibt er:
 
: ''Das Konzert ist die Urerfahrung, mit wem du deine Musik teilst. Wenn neben dir Stumpfstudenten stehen, die jede Zeile mitsingen, weil sie es witzig finden, und selbstironisch mitsingen,­ das ist dann eine ganz harte Grenzerfahrung.''
 
Sehr eintönige Musik findet sich auch in der [[Minimal Music]] und in der Musik der [[Avantgarde]]. Vor allem in der [[Serielle Musik|seriellen Musik]] wird als ein Stilmittel mitunter ein Ton sehr lange, manchmal minutenlang gehalten. Der [[Fluxus]]-Künstler [[George Brecht]] komponierte 1963 „''Water-Yam''“, Stücke aus dem Tropfen eines [[Wasserhahn]]s. Solche minimalen bis monotonen Stücke sind durch eine große immanente Tristesse gekennzeichnet, häufig wird jedoch beim Hören dieser Art von Musik auch eine Spannung ([[Suspense]]) empfunden.
 
=== Malerei ===
In der [[Malerei]] spielt das Gefühl der Tristesse vor allem in der [[Landschaftsmalerei]] eine große Rolle. Hier kann mit grauen, braunen oder erdigen Tönen oder mit tiefhängenden, schweren Himmeln leicht eine triste Stimmung erzeugt werden.<ref name="wolf">Georg Jakob Wolf: ''Joseph Schmid-Fichtelbergs Landschaften'' in ''Die Kunst, Monatshefte für freie und angewandte Kunst XXXXI.'' F. Brickmann A.-G. München 1920. Seite 104</ref>
 
Beliebt war dieses Motiv in der niederländischen Landschaftsmalerei des späten 17. Jahrhunderts, vor allem [[Jacob van Ruisdael]] und [[Jan van Goyen]] malen in dieser Zeit oft düstere und schwermütig wirkende Landschaften mit dramatischen Wolkenformationen, absterbenden Bäumen und herabstürzenden Wasserfällen. Diese Bilder werden zu Ausdrucksträgern subjektiver Empfindung und des Gefühls der Tristesse. Seit dem [[Humanismus#Humanismus_als_Epochenbegriff|Humanismus]] avancierte die [[Melancholie]] zu einer [[Modekrankheit]], und galt auch in der [[Romantik]] als schick. Aus diesem Grund trafen die Bilder bei einem großen Publikum auf Wertschätzung.
 
=== Fotografie und Film ===
Stilmittel, die in der Malerei für Tristesse stehen, werden mitunter auch in der [[Fotografie]] angewandt. Im Gegensatz zu wärmeren, erdigen oder braunen Tönen werden hier aber vor allem [[Farbtemperatur|kalte Farben]] wie zum Beispiel blau verwendet, um Tristesse auszudrücken. Bei der Darstellung von Landschaften werden bedrohlich wirkende Himmel mit Hilfe von [[UV-Filter]]n, [[Skylightfilter]]n und [[Polfilter]]n erzeugt. Fotos in Schnee und Regen haben einen sehr geringem Tonwertumfang, was trist und langweilig wirkt.
 
In der [[Schwarzweißfotografie]] werden Orange- oder Rotfilter verwendet, um dramatische und dunkle Himmel zu erzeugen. Dieser Effekt ist mit Digitalkameras und Farbfilmen im Nachhinein nicht simulierbar. Fotos mit starkem [[Weitwinkel]] und wenigen oder keinen Personen gelten als trist, die Motivwahl ist hierbei relativ unwichtig.
 
Triste Landschaften sind auch im nordischen Film verbreitet. Bei ''[[Nói Albínói]],'' einem [[Island|isländischen]] Film von [[Dagur Kári]], wird die Tristesse eines einsamen Dorfes auf Island beschrieben. Der [[Norwegen|norwegische]] Film ''[[Kitchen Stories]]'' von [[Bent Hamer]] thematisiert die Alltagstristesse eines einsamen alten Mannes. Der finnische Regisseur [[Aki Kaurismäki]] ist berühmt für seine tristen Kompositionen, so dass er als der „''Chef-Melancholiker des europäischen Autorenkinos''“ gilt.<ref name="gansera">Rainer Gansera: ''Down and Out in Helsinki und Hof, Begegnung mit Aki Kaurismäki.'' In: ''epd Film 12/2006'', Seite 25</ref>
 
=== Architektur ===
[[Bild:Tram stop Am Klinikum - Jena - Lobeda, Germany - December 2003.JPG|thumb|right|Plattenbauten in Jena-[[Lobeda]]]]
 
Wie in der Musik gilt, dass Empfinden von Architektur stark [[individuell]] und mit dem [[Zeitgeist]] verknüpft ist. Für viele Menschen gilt in der Architektur Tristesse als Synonym für [[Plattenbau]]ten der 1970er Jahre.
 
: ''Infolge der jammervollen Wohnverhältnisse in den Mietskasernen ist es vielfach sogar den besten Eltern nicht möglich, ihre Kinder körperlich, geistig und seelisch zu tüchtigen Menschen zu erziehen. Die Folgen der Tristesse sind Beschränkung der Kinderzahl und Ehelosigkeit.''<ref name="blum">Handbibliothek für Bauingenieure, Städtebau, Prof. Dr. Otto Blum, Verlag von Julius Springer 1937, Seite 13</ref>
 
Ab Mitte der 1980er Jahre war der Trend zu erkennen, Plattenbauten mit Schmuckelementen zu versehen oder die Bauweise weniger deutlich zum Ausdruck zu bringen. Ein typisches Beispiel hierfür ist das [[Nikolaiviertel]] in Berlin-Mitte. Durch einfache, aber massenhaft einsetzbare Gestaltungsmittel wurde versucht, den tristen Charakter der Gebäude etwas abwechslungsreicher zu gestalten. So wurde als Außenverkleidung gewaschener Kies oder Fliesen verwendet.
 
Als trist wird auch oft funktionale Industriearchitektur angesehen. Seit der [[Klassische Moderne|Klassischen Moderne]] sind Industriebauten weitgehend schmucklos, die Form folgt der Funktion. Farben wurden nur verwendet, wenn sie einen baulichen Grund hatten, beispielsweise als Rostschutz. So entstanden Bauwerke, die allerorten weitgehend gleich aussehen. Dieser Trend wird erst in den letzten Jahrzehnten gebrochen.
 
[[Bild:Berlin schlesische-str-7 bonjour-tristesse 20050224 p1010029.jpg|thumb|right|Wohnhaus „Bonjour Tristesse“ in Berlin-Kreuzberg]]
=== Trivia ===
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