Geschichte von Campagnolo

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Inhalt


Nach: Paolo Faccinetti, Guido P. Rubino: Campagnolo – ein Unternehmen schreibt Fahrradgeschichte; Delius Klasing Moby Dick; 1. Auflage 2009; ISBN: 978-3-7688-5275-3



Stand der Technik zwischen den Kriegen


Bis Anfang der 20er Jahre waren Schaltungen an Fahrrädern unüblich, auch wenn die Nabenschaltung bereits erfunden war. Die Fahrradindustrie machte Druck auf Offizielle von Rennsportveranstaltungen, weil sie wollten, daß offiziell anerkannt wird, daß das Fahrrad ein wichtiges Instrument sei, um Menschen bei Arbeitszwecken zu unterstützen. Bei Radrennen waren Nabenschaltungen verboten. Warum dies so war und ist, bleibt bis heute ein Rätsel.

Dabei lag ein Hauptaugenmerk auf Robustheit und einwandfreiem Funktionieren des Fahrrades. Deshalb war es ab etwa 1925 bei Radrennen gestattet, am Hinterrad zwei oder drei weitere Zahnkränze zu befestigen. Wie man die Kette aber von einem Kranz auf den anderen bekommen soll, wurde erstmal nicht thematisiert.



Die Schnellspannabe von Campagnolo


Tullio Campagnolo war ein Radrennfahrer mit einem Faible für Fahrradtechnik, sein Vater hatte eine Eisenwarenhandlung. Am 11. November 1927 wurde in Veneto der „Gran Premio della Vittoria“ ausgetragen, Tullio Campagnolo war als unabhängiger Teilnehmer gemeldet. Beim Anstieg auf den Passo Croce d’Aune hatte er sich mit 3 weiteren Fahrern abgesetzt. Das Wetter verschlechterte sich stark, aus dem Regen wurde Schnee. Es war also ein Gangwechsel erforderlich. Zu diesem Zweck war es damals notwendig, anzuhalten, das Hinterrad mit den Flügelmuttern zu lösen und auszubauen, umzudrehen und die Kette über den anderen Zahnkranz zu legen. Mit den vereisten Fingern dauerte es zu lange, Tullio Campagnolo mußte die anderen ziehen lassen. Damals fluchte er: „Hier muß sich etwas ändern“. Von diesem Tag an hatte sein Erfindungsgeist ein wichtiges Ziel vor Augen: den Radwechsel zu erleichtern und vielleicht sogar einen Gangwechsel beim Fahren zu ermöglichen.

Drei Jahre später meldete er sein Patent für die Schnellspannabe an, technisch als „Getriebe für den Radsport“ bezeichnet. Der Gangwechsel wurde von Puristen des Radsports lange abgelehnt, so auch von Henry Desgrange, dem Gründer der Tour de France.



Croce d’Aune


Der Paß Croce d’Aune wurde zu einem Punkt in der Geschichte des Radsports, 1995 wurde dort in Gedenken an die Erfindung der Schaltung ein Denkmal für Campagnolo errichtet. Wie Ferrari ein Synonym für Rennwagen ist, Armani für modische Eleganz steht, so steht Campagnolo für die Geschichte der Schaltung. Mit der Erfindung der Schnellspannachse war der erste Schritt zur Entwicklung der Fahrradschaltung getan. Campagnolos Schnellspannachse mit Excenter ist seit 1930 bis heute nahezu unverändert im Einsatz. Es war das erste von 185 Patenten, die Tullio Campagnolo anmeldete. Er lieh sich 3000 Lire bei einem Rechtsanwalt und fuhr zu Radrennen in allen Teilen Italiens, um seinen Schnellspannhebel vorzustellen. Nach 3 Jahren setzen mit Bianchi, Atala, Legnano und Gloria die größten italienischen Fahrradhersteller seine Achse ein und er wagte 1933 die Gründung der Campagnolo s.r.l. mit Hauptsitz im Rückgebäude der väterlichen Eisenwarenhandlung am Corso Padova 101 in Vicenza. Der Zeitpunkt war ungünstig, da das Interesse am Radsport im faschistischen Italien stark nachließ.



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Die Campa- Schaltungen


Super Champion, erfunden von Oscar Egg

Vorerst produzierte Campagnolo nur Prototypen und Modelle für die Produktion, welche extern bei der Firma der Gebrüder Brivio in Brescia erfolgte. Die Konkurrenz bei der Komponentenherstellung ist sowohl in Italien als auch im Ausland groß. Viele versuchten, das Problem des Gangwechselns ohne Absteigen zu lösen. Eine erste ernstzunehmende Lösung hatten die Gebrüder Nieddu anzubieten: die Schaltung „Vittoria Margherita“. Als erster Profi benutzte sie Gino Bartali 1935; nach seinem Tour-Sieg 1938 wurde das 5-Gang-Modell „Tour de France“ getauft. In den 40er Jahren erschien noch das Modell Giuseppina aus Duraluminium. Zeitgleich wurden in Frankreich Modelle wie die „Super Champion“ erfunden, mit der Roger Lapébie 1937 die Tour gewann.

1946 kam dann die Campagnolo Corsa auf den Markt. Sie hatte keine schmutzanfällige Spannrolle mehr, bei diesem Schaltsystem wurde die Hinterachse gelockert, um den Kranz zu wechseln. Anfangs geschah dies durch Rückwärtstreten, da sich die Kettenführung über der kettenstrebe befand. Später wurden aus den zwei Schaltstangen eine und die Kettenführung wanderte nach unten vor das Zahnkranzpaket, das noch heute übliche Schaltsystem war erfunden. Tullio Campagnolo hat nicht die Fahrradschaltung erfunden, er hat aber als erster eine Schaltung eingeführt, die sich im Alltagseinsatz bewährt hat.

1948 schenkte Tullio Campagnolo dem damals berühmten Gino Bartali eine Million Lire, damit dieser seine Schaltung in Frankreich, der Heimat von Simplex bekannt macht. Bartali gewann sieben Etappen und die Tour, damit war der Durchbruch auch im Ausland geschafft. Die beiden Anfang der 50er Jahre bedeutendsten Fahrer, Bartali auf Legnano und Coppi auf Bianchi benutzten die Campagnolo Corsa und sorgten so für die Verbreitung auf dem Weltmarkt. Besonders Fausto Coppi war es, der trotz massiver Abwerbeversuche der Franzosen zu Campagnolo hielt und dies auch in der Öffentlichkeit darlegte. Anfangs war Coppi nur in Italien erfolgreich, die Presse hänselte ihn, daß er im Ausland nicht siegen könne. Zu Paris-Roubaix 1950 erfand Tullio Campagnolo eine spezielle 5-Gang-Schaltung für Coppi, mit der er auch gewann. Diese Schaltung erhielt den Namen Roubaix.

Im gleichen Jahr entstand auch erstmals eine Schaltung, die den heutigen Systemen gleicht: die Gran Sport. Diese Schaltung beherrschte 13 Jahre lang den kompletten Markt der Rennräder weltweit. Die Schalthebel der Gran Sport wurden quasi unverändert bis 1985 weiterproduziert und stehen heute als Markenzeichen von Campagnolo.



Neuere Entwicklung


Campa Super Record
altes Logo von Campagnolo

Das heute noch verwendete Logo von Campagnolo wurde 1953 von Cavaliere Pittarlin gezeichnet. Im Werk in Vicenza arbeiteten bereits 123 Beschäftigte, es erschien der erste Katalog mit 24 Seiten.

Als 1962 die Record-Schaltung vorgestellt wurde, ersetzte sie die Gran Sport und wurde für ein Vierteljahrhundert die Standardschaltung aller Rennfahrer. Parallel begann Campagnolo, auch andere Bauteile anzubieten. Neben Komponenten für Bahnräder (Hochflanschnaben) erschien die Valentino-Schaltung sowie das erste Dreifach-Kettenblatt und Komponenten für Crossräder.

Bis zur Ära Eddy Merckx in die 80er Jahre hinein war Campagnolo marktbeherrschend. Im Jahr 1963 hatten 110 der 130 Teilnehmer der Tour de France eine Campagnolo-Schaltung montiert. Die Firma war bei der Fertigung besonders leichter Legierungen derart zukunftsweisend, daß die NASA sogar ein Satelliten-Chassis von Campagnolo fertigen ließ. Aber in den 70er Jahren begann der Angriff der Japaner. Mit den Firmen Sanko, Cherubino und Shimano brachten gleich 3 Hersteller Kopien der Simplex-Schaltungen heraus. Shimano übernahm nach und nach fast alle japanischen Konkurrenz-Unternehmen und war im asiatischen Markt eindeutig vorherrschend. Die Ölkrise 1973 sorgte für einen totalen Aufschwung des Verkaufs leichter Rennräder in den USA, von 1970 bis 1973 stieg die Zahl verkaufter Räder von 200.000 auf 8 Millionen. Die europäischen Hersteller Campagnolo, Simplex und Huret haben diese Entwicklung nicht erwartet und wurden überrascht, konnten die erhöhte Nachfrage nicht bedienen. Shimano und Maeda (die spätere Suntour) jedoch hatten die Entwicklung vorausgesehen. Sie lieferten außerdem die Teile zu einem weit günstigeren Preis als die europäischen Hersteller. Während die Japaner 1973 nur 25% des amerikanischen Marktes ausmachten, waren es 1978 bereits 90%. 1983 wiederum brachte die Erfindung des Mountainbike in den USA einen weiteren Schritt in die Marktherrschaft von Shimano, die am schnellsten auf den neuen Modetrend reagierten. 1983 verstarb Tullio Campagnolo, sein Sohn Valentino übernahm die Firma.

In Europa war Campagnolo noch unangefochtener Marktführer. Die Super-Record wurde 1973 vorgestellt. Neben Ergal wurde auch Titan verbaut, später wurde daraus die C-Record. Anfangs der 80er Jahre schwappt ein Modetrend aus den USA nach Europa: die BMX-Räder. Campagnolo reagiert darauf, allerdings wird die Mode in Europa nicht wie erwartet angenommen. Als dann wenige Jahre später die Mountainbikes ihren Weg nach Europa finden, ist man zu vorsichtig und läßt etliche Jahre verstreichen, die Shimano einen wertvollen Vorsprung und ihr Eintauchen in den europäischen Markt ermöglichen. Campagnolo experimentiert 1984 mit der ausgesprochen hübschen aber technisch problembehafteten Delta-Bremse sowie mit aerodynamisch geformten Schaltungsteilen. Erstmals wird mit der C-Record ein Bremsgriff vorgestellt, bei dem die Züge sowohl klassisch außen als auch innen unter dem Lenkerband verlegt werden können. 1986 erweiterte Campagnolo seine Produktpalette auf Laufräder, als erstes Modell erschien das „Ghibli“, das erste Scheibenrad. Anfang der 90er Jahre folgten Systemlaufräder wie das erfolgreiche Shamal mit der ersten Hochprofilfelge. 1999 wurden die ersten Bremsschalthebel aus Carbon vorgestellt, 2000 folgt die weltweit erste 10-fach-Schaltung. 2002 wird eine asymmetrische Felge vorgestellt, bei der die Speichen weiter links eingehängt werden, 2009 erschien als vorerst letzte bedeutende Neuerung die 11-fach-Schaltung Campagnolo Super Record. Die Campagnolo 12-fach Schaltung wurde 2018 eingeführt, weit vor den Konkurrenten Shimano oder Sram. Zwar war der technische Vorsprung der Gruppe nicht zu übersehen, dennoch waren bereits viele World Tour Teams an Shimano gebunden. Auch die Einführung der elektronischen Schaltgruppen kam zu spät, in der Zwischenzeit hatte Shimano schon das Feld der elektronischen Schaltgruppen übernommen und Sram punktete mit diversen Neuerungen auch im Gravel Bereich, einem Bereich, den Campagnolo bis dato nicht bespielt hatte. Viel zu spät, aber technisch überlegen kommt im Gravel Bereich die Ekar Gruppe auf den Markt, ebenfalls technisch überlegen und mit einer 13 Gänge Kassette das Maß aller Dinge, kann man doch mit ihr sowohl ein Rennrad als auch ein Gravelbike adäquat ausstatten und bei entsprechender Wahl der Möglichkeiten ist die Gruppe von den Übersetzungsverhältnissen nicht von einem klassischen Rennrad oder einem MTB zu unterscheiden. Sie stellt immer noch ein Alleinstellungsmerkmal in der Gruppe der mechanischen Schaltungen dar, allerdings scheint auch im Gravel Bereich der Trend zu elektronischen Schaltungen weiter zuzunehmen. Hier übernimmt vor allem Sram das Feld, die Möglichkeit der Schaltung auf Knopfdruck scheint vor allem bei der jüngeren Generation sehr gut zu funktionieren. Obwohl viele Enthusiasten der Ekar eine extrem genaue Schaltperformance bescheinigen, scheint die Zeit mechanischer Gruppen für einen Großteil der Zielgruppe vorbei zu sein. Eine Rückentwicklung zu den Wurzeln des Fahrrades, eine rein mechanische Maschine, ohne Strom scheint realistisch angesichts der vielen Videos über Gravel und Outdoor Living. Es wird allerdings in Zukunft zwei Lager geben, diejenigen, die Radfahren als ursprünglich begreifen und diejenigen, die den neuesten elektronischen Neuerungen aufgeschlossen begegnen. Da Campagnolo eher ein sehr traditionelles Unternehmen ist, wird es versuchen, beide Richtungen zu bedienen. Leider wird es - und das war vorherzusehen - auf dem Markt der Elektronik nicht punkten können, die elektronische Schaltgruppe von Campa als Super Record, über 5000 Euro findet keine Käufer, was auch erwartbar war. Die World Tour 2024 findet ohne Campagnolo Komponenten statt. Inwieweit sich ein traditionelles Unternehmen nicht besser auf traditionelle Werte beschränken sollte, bleibt die Frage. Die Zukunft von Campagnolo ist im Moment auch wegen finanzieller Probleme ungewiß. Es wäre dem Traditonsunternehmen gegönnt, sich weiter entwickel zu können. Es wird aber ein Nische werden für Radsportfanatiker. Was keine schlimme Nische ist.




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