Tristesse: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 22. März 2007, 15:33 Uhr

Die Tristesse bezeichnet ein Gefühl der Traurigkeit, der Trübseligkeit, des Jammers oder vor allem der Ödnis. Sie kann sowohl zur Beschreibung von Emotionen oder Stimmungen, als auch zur Bezeichnung von Zuständen, Dingen oder Orten verwendet werden. In diesem Fall drückt der Begriff häufig Langeweile, Geistlosigkeit oder Mangel an Abwechslung aus.

Häufiger als das Subjektiv wird das Adjektiv trist verwendet. Der Begriff wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Studentenkreise aus dem französischem: „triste“ entlehnt. In der ersten Zeit, nach der Übernahme des französischen Fremdworts findet sich desöfteren dessen end-e auch in der deutschen Sprache. Das gesamte Wortfeld gilt als negativ konnotiert.

Im 20. Jahrhundert ging das Adjektiv trist fest in den deutschen Wortschatz über, wohingegen das Substantiv Tristese immer noch klar als Fremdwort erkennbar ist und fast ausschließlich in akademischen Kreisen und nur selten verwendet wird.

Etymologie

Tristesse ist ein Lehnwort aus dem französischen und wird in Deutschland seit Ende des 18. Jahrhunderts verwendet. Im Französischen ist das Wort bedeutend älter und findet sich in vielen alten Schriften, die älteste erhaltene französischsprachige Schrift ist von Wace und stammt ungefähr aus dem Jahr 1145 in seinem Werk La conception de Notre Dame.[1], überliefert ist der Begriff auch aus dem Roman de Troie von Bénoît de Sainte-Maure aus dem 12. Jahrhundert.[2]. Beispiele für Wortverwendungen im 17. Jahrhundert finden sich unter anderen bei Nicolas Boileau (1683)[3] oder Randle Cotgrave (1611) [4]. Ein Beispiel für eine Verwendung im späten 19. Jahrhundert ist exemplarisch bei Léon Cladel in seinen Ompdrailles, le Tombeau-des-Lutteurs aus dem Jahr 1879 zu finden.[5].

In den anderen stark vom französischen beeinflussten Dialekten ist der Terminus stets ähnlich, so wird aus dem französischen triste in der wallonischen Sprache: triss und im Provenzalischen: trist oder triste. Auch in anderen romanische Sprachen bleibt der Wortstamm erhalten, Beispiele seien das italienische: tristo und das spanische: triste.[6]

Gemeinsame Wurzel ist aber in jedem Fall das lateinische: tristis, das verschiedene Bedeutungen hatte, im Gebrauch mit fatum (das Schicksal), morbus (der Tod), oder bellum (der Krieg) lässt es sich als „unglücksverheißed, trauerbringend, unheilvoll oder gefährlich“ übersetzen. In der Verwendung bei senex (das Alter) oder vita (das Leben) wird es jedoch häufig als „unfreundlich, ernst oder streng“ aufgefasst. Bei Charon von Lampsakos findet sich tristis auch bei vultus (die Miene) oder navita (der Seemann) in der Bedeutung „grimmig, hart oder finster“. In Verbindung mit sapor (der Geschmack) kann es aber auch mit „bitter, herb oder widerlich“ übersetzt werden. Mit amici (der Freund) heißt es schließlich „traurig“. Das zugehörige Sustantiv tristitia wird vor allem in dieser Bedeutung: „die Traurigkeit“ verwendet.[7]

Literatur

Goethe in der römischen Campagna, eines der bekanntesten Werke des Malers Johann Heinrich Wilhelm Tischbein

In der Literatur finden sich die ersten Verwendungen Anfang des 18. Jahrhunderts bei Franz von Gaudy: „Tage und Wochen vergingen langweilig und triste bei Viertelsportionen.“, [8] oder bei Christian Dietrich Grabbe: „Oh, so musz ich den dicken Konrad holen, denn er ist wieder erschrecklich triste geworden, seitdem man die alte Chaussee ausbessert.[9] Zu dieser Zeit war die Verwendung des Begriffs in der Literatur aber noch selten, er war leicht als Fremdwort zu erkennen und in seinem Bedeutungsgehalt unscharf und schillernd.

Johann Wolfgang von Goethe verwendet den Ausdruck zur gleichen Zeit mehrmals. So findet er sich in der Italienischen Reise, aus den Jahren 1786-1788: „der Kafee, der mir eine ganz eigne triste Stimmung gab.[10] oder auch in den Maximen und Reflexionen: „... aber es geht doch durch alles etwas tristes hindurch, das einen gewissen gedrückten Zustand andeutet und den Leser, wo nicht niederzieht, doch gewisz nicht erhebt.[11]

Auch Heinrich Heine verwendet den Terminus: „Nie hat eines Menschen Wort einen tristeren und schmerzlicheren Eindruck auf mich gemacht.[12]. Auch bei Pückler[13], Schlechtendal[14], Fontane[15] und Jean Paul[16] findet sich die Tristesse.

In der französischen Sprache, der der Begriff ja auch entlehnt ist wird der Begriff wesentlich häufiger verwendet aus im Deutschen. Françoise Sagan nannte einen ihrer Romane Bonjour tristesse, der dann auch 2002 von Arthur Laurents verfilmt wurde.

Gottfried Benn nannte eines seiner bekannten Gedichte Tristesse, dort heißt es im letzten Absatz, der das Gefühl der Tristesse eindrucksvoll beschreibt:

Und dann November, Einsamkeit, Tristesse,
Grab oder Stock, der den Gelähmten trägt –
die Himmel segnen nicht, nur die Zypresse
der Trauerbaum, steht groß und unbewegt.[17]

Malerei

Jan van Goyen: Landschaft mit zwei Eichbäumen (1641)
Caspar David Friedrich: Mönch am Meer (um 1808-1809)

In der Malerei spielt das Gefühl der Tristesse vor allem in der Landschaftsmalerei eine große Rolle. Hier kann mit grauen, braunen oder erdigen Tönen, oder mit tiefhängenden, schweren Himmeln leicht eine triste Stimmung erzeugt werden.[18]

Beliebt war dieses Motiv in der Niederländischen Landschaftsmalerei des späten 17. Jahrhunderts, vor allem Jacob van Ruisdael und Jan van Goyen malen in dieser Zeit oft düstere und schwermütig wirkende Landschaften mit dramatischen Wolkenformationen, absterbenden Bäumen und sich herabstürzenden Wasserfällen. Diese Bilder werden zu Ausdrucksträgern subjektiver Empfindung und des Gefühls der Tristesse. Da zur dieser Zeit die Melancholie, wenn auch schon seit dem Humanismus als „Modekrankheit“ galt, wurden die Bilder durch die Romantiker sehr wertgeschätzt.

Ende des 18. und Anfang der 19. Jahrhunderts war vor allem Caspar David Friedrich für die Tristesse in seinen Bildern berühmt. Er verkörperte den typischen Romantiker: Er war eher introvertiert, weltscheu, naturverbunden und religiös. Seine Bilder werden oft als melancholisch interpretiert: seine Gedanken kreisten oft um Sein, Vergehen und Werden. So hat er sich zum Beispiel gefragt:

„Warum, die Frag’ ist oft zu mir ergangen, wählst du zum Gegenstand der Malerei so oft den Tod, Vergänglichkeit und Grab? Um ewig einst zu leben, muss man sich oft dem Tod ergeben.“

Dabei entfernt sich Caspar David Friedrich immer mehr vom Erhabenen, das einen angenehmen Schauer auslösen sollte, als Motiv. Statt schaurig-schöner Erhabenheitsinszenierung entstehen eindringliche Dokumente kaum ertragbarer Grenzerfahrungen. Heinrich von Kleist fasst dies in dem berühmten Text Verschiedene Empfindungen vor einer Seelandschaft von Friedrich in die Worte:

„Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunkt im einsamen Kreis. Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.“[19]

Vincent van Gogh wollte mit betont „bunten“ Bildern der Tristesse seines Alltags entfliehen und verwandte sehr bunte, oft auch Fehlfarben. Die dunklen Himmel machten viele seiner Bilder aber eher trist und bedrückend. [20]

Fotografie und Film

Die Mittel der Malerei werden auch in der Fotografie angewandt. Bei Schwarzweiß- Fotos wird gern ein Orange- oder Rotfilter verwendet, um dramatische und dunkle Himmel zu erzeugen. Dieser Effekt ist mit Digitalkameras und Farbfilmen im Nachhinenin nicht simulierbar. Fotos mit starkem Weitwinkel und wenigen oder keinen Personen gelten als trist, die Motivwahl ist hierbei relativ unwichtig. Starke Kontraste und Spotbeleuchtung hat bereits Sergej Eisenstein im zweiten Teil von Iwan der Schreckliche verwendet, um bedrohliche oder langweilige Szenen zu dokumentieren.

Bedrohlich wirkende Himmel werden mit UV- Skylight- und Polfiltern verstärkt, um Landschaften darzustellen. Im Gegensatz zur Malerei werden kalte Farben benutzt, um Tristesse auszudrücken. Schnee und Regen bringen kalte Fotos, die einen sehr geringen Tonwertumfang haben, was trist und „langweilig“ wirkt.

Karl Lagerfeld verwendete bei seinen Fotos von Claudia Schiffer in Amalfi 1992 bewußt grobkörnige Filme und Regen, ließ sie nach unten schauen. So entstanden Fotos, die trotz der leicht warmen Chamois-Tönung trist und bedrohlich wirken.[21]

Architektur

Plattenbausiedlung in München-Neuperlach

In der Architektur wird Tristesse meist synonym für Plattenbauten der 70er Jahre verwendet. Wie in anderen Kunstrichtungen wechseln sich in der Geschichte der Architektur stark geschmückte Perioden mit weitgehend schmucklosen Stilen ab. Der Modernisme Català mit den bekannten Vertretern Antoni Gaudí und Lluís Domènech i Montaner war dabei eine extrem verspielte Version des Jugendstil in ganz Europa.

Die Modernisme ... fand in privaten und öffentlichen Bauten monumentalen Charakters sowie überschwenglicher Formen und Farben seinen Ausdruck. Er trieb die Handwerkskunst in den Bereichen Keramik, Eisenschmiede und Kunsttischlerei zu neuer Blüte...[22]

Dieser Phase folgte eine triste und schmucklose Phase der Klassische Moderne, in Deutschland als Bauhaus bekannt.

Infolge der jammervollen Wohnverhältnisse in den Mietkasernen ist es vielfach sogar den besten Eltern nicht möglich, ihre Kinder körperlich, geistig und seelisch zu tüchtigen Menschen zu erziehen. Die Folgen der Tristesse sind Beschränkung der Kinderzahl und Ehelosigkeit.[23]
Der Crossener Säureturm

Triste Gebäude bestehen aus einfachen geometrischen Formen, meist Quadern. Schmuckelemente sind selten oder nicht vorhanden. Für die Umsetzung dieser Bauform haben sich weitgehend Beton- Fertigteile durchgesetzt, die eine sehr effektive Bauweise darstellen. Ab Mitte der 80er Jahre war der Trend zu erkennen, Plattenbauten mit Schmuckelementen zu versehen bzw. die Bauweise weniger deutlich zum Ausdruck zu bringen. Dies wird beim Nikolaiviertel in Berlin-Mitte besonders deutlich.

Durch einfache, aber massenhaft einsetzbare Gestaltungsmittel wurde versucht, den tristen Charakter der Gebäude etwas abwechslungsreicher zu gestalten. So wurde als Außenverkleidung gewaschener Kies oder Fliesen verwendet. Die anfangs rechtwinklige Anordnung der verschiedenen Wohnblöcke schaffte bei höheren Häusern Schluchten, die die vorhandene Windgeschwindigkeit teilweise drastisch erhöht. Aus diesem Grund ist es in Neubauvierteln quasi nie windstill und die Geräusche des Windes erzeugen eine anhaltende - wenn auch geringe - Lärmemission. Diese Windgeräusche machen derartige Wohngegenden zusätzlich unangenehm. Aus diesem Grund wurden ab etwa 1980 Neubaugebiete nicht mehr durchgängig rechtwinklig errichtet.

Als trist wird auch oft funktionale Industriearchitektur angesehen. Seit der „Klassischen Moderne“ sind Industriebauten weitgehend schmucklos, die Form folgt der Funktion. Farben wurden nur verwendet, wenn sie einen baulichen Grund hatten, beispielsweise als Rostschutz. So enstanden Bauwerke, die allerorten weitgehend gleich aussehen. Dieser Trend wird erst in den letzten Jahrzehnten gebrochen. Industriebauten bleiben weiterhin relativ schmucklos, erhalten aber bunte Farben sowie Farbkontraste.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Wace: 'La conception de Notre Dame. Herausgeber W. R. Ashford. University of Chicago, 1933 Seite 469
  2. Bénoît de Sainte-Maure: Roman de Troie Hrsg. L. Constans, Paris, Firmin Didot, 1904. Seite 5260
  3. Nicolas Boileau: Le Lutrin in Hrsg. Ch.-H. Boudhors Odes 2. Aufl. Paris 1960. Seite 165
  4. Randle Cotgrave: A Dictionarie French and English : published for the benefite of the studious in that language
  5. Léon Cladel: Ompdrailles, le Tombeau-des-Lutteurs, P., A. Cinqualbre, 1879 Seite 103
  6. francois.gannaz.free.fr
  7. J. M. Stowasser, M. Petschenig und F. Skutsch: Stowasser, Lateinisch - deutsches Schulwörterbuch. Wien, Auflage 1994, Seiten 524f
  8. Franz von Gaudy: Sämtliche Werke, Band 2.Berlin 1844. Seite 149
  9. Christian Dietrich Grabbe: Werke, Band 1. Seite 404
  10. Johann Wolfgang von Goethe: Werke, Band 27. Seite 185
  11. Johann Wolfgang von Goethe: Werke, Band 21. Seite 100
  12. Heinrich Heine: Stelle kommt noch.
  13. Hermann von Pückler-Muskau: Stelle kommt noch.
  14. Diederich Franz Leonhard von Schlechtendal: Stelle kommt noch.
  15. Theodor Fontane: Stelle kommt noch.
  16. Jean Paul: Stelle kommt noch.
  17. Gottfried Benn: Tristesse in Sämtliche Gedichte. Klett-Cotta, Stuttgart 1998. ISBN 3608934499 Seite 316
  18. Georg Jakob Wolf: Joseph Schmid-Fichtelbergs Landschaften in Die Kunst, Monatshefte für freie und angewandte Kunst XXXXI. F. Brickmann A.-G. München 1920. Seite 104
  19. Heinrich von Kleist: Empfindungen vor Friedrich’s Seelandschaft in Reinhold Steig (Hrsg.) Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe. Spemann,Berlin, Stuttgart, 1901. Seiten 262-268
  20. Verzamelde Brieven van Vincent van Gogh, hg. Vincent Willem van Gogh, Wereld-Bibiotheek, Amsterdam & Antwerpen, 1953, Neuauflage 1974; engl. The Complete Letters of Vincent van Gogh. Little, Brown & Co. 1958, 1978; franz. Correspondence... 1960; dt. Vincent van Gogh. Sämtliche Briefe, hg. Fritz Erpel & übers. Eva Schumann. Henschel-Verlag, Berlin (DDR) 1965 & 1968, Neuauflage: Lamuv Verlag, Frankfurt am Main, 1985
  21. Claudia Schiffer, Klaus Lagerfeld, Wilhelm Heyne Verlag München, ISBN: 3-453-09701-7
  22. Maria Antonietta Crippa, Antoni Gaudí, Von der Natur zur Baukunst, ISBN: 3-8228-2442-9, S. 11
  23. Handbibliothek für Bauingenieure, Städtebau, Prof. Dr. Otto Blum, Verlag von Julius Springer 1937, Seite 13

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