Fahrradzeichnung Leonardo da Vinci

Aus Fahrradmonteur
Zur Navigation springenZur Suche springen
Skizze des Fahrrads
Urheber: umstritten, entweder Leonardo da Vinci († 2. Mai 1519), einer seiner Schüler (Francesco Melzi) und/oder unbekannter Fälscher aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts
Lizenz: gemeinfrei aufgrund 70 Jahre p.m.a. oder gesetzlich geschützt (ursprüngliche Darstellung)
Urheberrechtlich geschütztes Werk; eingebunden als Bildzitat nach § 51 des deutschen Urheberrechtsgesetzes

Auf der Rückseite eines Skizzenblattes von Leonardo da Vinci wurde eine Zeichnung gefunden, die ihm in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ursprünglich zugeschrieben wurde. Dadurch wäre da Vinci der Erfinder des Fahrrads gewesen, was allerdings schon sehr früh in Frage gestellt wurde. Anders als bei seinen zahlreichen Zeichnungen von Fluggeräten, nach denen da Vinci heute manchmal als Erfinder des Hubschraubers gehandelt wird, gilt dies beim Fahrrad bei der Mehrheit der Forscher mittlerweile nicht mehr. Die vorliegende Skizze wird allgemein als Fälschung angesehen, wobei unklar, wann und von wem sie angefertigt wurde und welchen Zweck diese Fälschung erfüllen soll.

ursprüngliche gebundene Edition des Codex Atlanticus von 1600
Foto: Mario Taddei 2007
Lizenz: GFDL, CC-BY-SA

Die Skizze wurde 1974 in da Vincis Codex Atlanticus gefunden, einer im 16. Jahrhundert zusammengestellten Sammlung von losen Blättern mit Zeichnungen, Skizzen und Notizen da Vincis. Sie fand sich dort auf der Rückseite eines Manuskripts. Eine Gruppe von Mönchen unter Leitung des Lexikographen Augusto Marinoni schloß zu der Zeit eine Restaurierung des Codex ab und präsentierte in dem Zuge den Fund der Zeichnung eines fahrradähnlichen Gefährts. Die Zeichnung wird mit dem Rest des Codex in der Biblioteca Ambrosiana in Mailand aufbewahrt.

Biblioteca Ambrosiana in Mailand
Foto: Elekhh, 2010
Lizenz: CC-BY-SA, GFDL

Technische Einschätzung

Ursprungszeichnung; Kontraste verstärkt; Tonwerte leicht korrigiert und Abschattungen etwas beseitigt

Auf der Skizze sind alle Elemente enthalten, die heute als wichtig für ein Fahrrad empfunden werden. Allerdings macht die Skizze den Eindruck, daß sie von jemandem angefertigt wurde, der sich mit der Funktionsweise eines Fahrrades nur ungenügend auskennt. Selbst zu Lebzeiten von da Vinci waren physikalische und vor allem geometrische Gesetze bekannt, die das dargestellte Gefährt ohne Not einfach nicht einhält. Es ist äußerst unglaubwürdig, daß der exzellente Mathematiker da Vinci, der tiefgehende Kenntnisse in Geometrie hatte, solche Anfängerfehler begangen hätte.

Rahmen

Daß Dreiecke Stabilität bewirken, war da Vinci bekannt. Die hier angedeutete Rahmenform ist jedoch so labil, daß sie selbst mit modernsten Baustoffen heute kaum realisierbar wäre. Es ist nicht erklärlich, warum dieser Entwurf unlenkbar gezeichnet wurde. Lenkungen an Kutschen waren schon sehr lange bekannt, eine Adaption des Vierradsystema auf zwei Räder wäre denk- und sogar baubar gewesen. Eine schlichte Verlängerung des Vorbaus in Richtung Tretlager hätte einen Rahmen geschaffen, der lenkbar wäre und im Prinzip heutigen Damenrahmen ähneln würde. Es ist unwahrscheinlich, daß dies dem Genie da Vinci nicht aufgefallen wäre.

Kette und Antrieb

Leonardo da Vinci hat mehrmals in anderen Skizzen so etwas Ähnliches wie Blockketten angedeutet. So ungenau diese Skizze auch ist, auf ihr werden keine Elemente einer Blockkette dargestellt, es ist vielmehr eine der heute üblichen Fahrradketten erkennbar, deren Bauart aber erst lange nach da Vinci erfunden wurde. Während bei Kettenblatt und Zahnkranz Zähne angedeutet sind, sogar über den gesamten Durchmesser, ist bei der "Kette" nichts dergleichen zu erkennen. Theoretisch könnte das ein gedeckter Zahnriemenantrieb sein, das ist jedoch noch viel unwahrscheinlicher als das Ganze ohnehin schon ist. Gummi war damals in Europa noch nicht bekannt. Der Kettenverlauf entspricht auch dem, was man in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts als üblich am Fahrrad empfand, also nach hinten verjüngt. Dafür ist der Zahnkranz aber einfach viel zu groß.

Laufräder

Die Speichen im Vorderrad entsprechen der damals vorherrschenden Bauweise mit Holzspeichen an Wagenrädern, auf Zug belastete Metallspeichen kannte man noch nicht. Die Felgen sind jedoch viel zu dünn dargestellt, eine Verbindung zwischen Speichen und Felge hätten nicht ordentlich ausgeführt werden können. An beiden Rädern ist ein Metallreifen angedeutet, dies ist wiederum glaubhaft. Die Dimensionierung der Felgen ist jedoch nicht ausreichend, um Stahlreifen sicher befestigen zu können. Beim Hinterrad sind zudem die Speichen viel zu dünn dargestellt. Dies sind logische Fehler grundlegender Natur, die den Urheber da Vinci unglaubhaft erscheinen lassen.

Tretlager

Die Pedalarme sind viel zu lang, sie würden nicht drehbar sein, weil der Boden im Weg ist. Die winklige Anordnung ist unklar, sie scheint einem Piktogramm des 20. Jahrhunderts entnommen zu sein. Die Pedalarme passen proportional und farblich nicht zur Zeichnung, sie sind technisch weit weniger durchdacht als der Rest der Skizze. Sie erscheinen wie später von einem Unkundigen hinzugefügt.

Eine Linie zwischen den Unterkanten der Laufräder ist noch erkennbar, wenn auch schwach. Diese Linie macht die Unmöglichkeit der Pedalanordnung bzw. -größe deutlich und müßte dem Zeichner aufgefallen sein.

Alternative Interpretation

Laufrad ohne Kettenantrieb

ohne Kettenantrieb und Pedale: Fälschung der Fälschung

Läßt man den "Kettenantrieb" bei der Skizze weg, so erscheint die Zeichnung in einem völlig anderen Licht. Es handelt sich nun nicht mehr um das angebliche "Fahrrad" sondern gleicht vielmehr dem Vorläufer, dem Laufrad. Angesichts der Tatsache, daß da Vinci diesen Entwicklungssprung kaum hätte übergehen können und angesichts der unnötig komplizierten Antriebstechnik erscheint eine solche Zeichnung als sehr viel wahrscheinlicher als die heute bekannte.

Das Laufrad ist auch technisch etwas anders zu interpretieren. Nimmt man als Ursprung eine Kutsche mit Drehschemel und überträgt dieses Prinzip auf ein Zweirad, so ist lediglich der Drehpunkt zum Lenken schwer bis unmöglich ausführbar, diesem Prinzip entspricht aber diese Skizze. Der angedeutete Splint unterhalb des Vorbaurohres könnte ein Hinweis des Zeichners sein, daß da noch irgendwas drehbar gemacht werden müsse, es aber bisher nicht ist.

Als solch eine nur bedingt funktionsfähige, weil unlenkbare Konstruktion auf einer Skizze wiederum wäre die Urheberschaft von Leonardo da Vinci deutlich glaubhafter als ein Fahrrad, was mit damaligen Voraussetzungen gleich an mehreren Stellen unmöglich umsetzbar gewesen wäre. Ein Drehschemel ähnlich einer Kutsche wäre sogar baubar gewesen, dann wäre der Antrieb mit den Beinen allerdings fast unmöglich geworden, vielleicht ist dies dem Zeichner aufgefallen. Ob dieser Zeichner nun im 20. Jahrhundert anzusiedeln ist oder zur Zeit da Vincis, ist aus der bloßen Ansicht der Skizze schwerlich zu entnehmen.

Fahrradrahmen

theoretische Rekonstruktion einer nicht existierenden Skizze

Beim genauen Hinsehen erkennt man Reste von dünnen Linien, die frei interpretiert dem Ober- und Unterrohr eines Fahrrades heutiger Bauart annähernd entsprechen. Dieses Gebilde wäre wahrscheinlich sogar lenkbar und als Laufrad in der Zeit von da Vinci baubar gewesen.

Es ist denkbar, daß der Fälscher diese dünnen Linien ursprünglich benutzen wollte und nicht restlos wegradiert hat. Diese Geometrie liegt doch sehr nahe am Aufbau heutiger Fahrräder. Falls die Zeichnung jedoch wirklich im 15. Jahrhundert bei Leonardo da Vinci oder einem seiner Schüler vermutet werden kann, so war sie ihrer Zeit wirklich erstaunlich weit voraus. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß bereits um 1450 eine derat konkrete Zeichnung eines heutigen Fahrrads existierte, bei der die gesamte Fahrradgeschichte bis zu diesem Zeitpunkt (Roverrahmen, um 1920) vernachlässigt und ignoriert wird. Die historische Entwicklung mit Hochrädern vor Erfindung der Gummibereifung war technisch erforderlich und konnte nicht fast 500 Jahre vorher vorhergesehen werden.

Es liegt auch hier ein logischer Fehler vor. Gummi war noch nicht bekannt, Luftbereifung wurde erst 1888 patentiert. Als Laufrad war eine derartige Konstruktion noch sinnvoll, als Fahrrad wäre das jedoch nicht fahrbar gewesen, die Räder für die Hartbereifung deutlich zu klein. Es gab auch kein Fertigungsverfahren, mit dem ein Diamantrahmen hätte hergestellt werden können.

Die Analyse der Skizzen aus technischer Sicht legt ebenfalls eine Fälschung zu Grunde, wobei das denkbare dargestellte Laufrad allerdings theoretisch möglich gewesen wäre, was jedoch durch die Zeichnungsreste des Rahmens wieder relativiert wird. Es ist allerdings auch möglich, daß diese Zeichnung mehrmals gefälscht wurde.

Künstlerische Einschätzung

Der fotografischen Kopie ist die Zeichentechnik nicht mit Sicherheit zu entnehmen, es liegt der Schluß nahe, daß es sich um eine Bleistiftskizze mit braunen Kohlestrichen handelt. In der Mitte der Darstellung wurde offensichtlich nicht sehr sauber radiert. Die Radien der Räder sind relativ genau gezeichnet und wirklich rund, was keine Selbstverständlichkeit bei derartigen Skizzen ist.

Die Zeichnung selbst ist allerdings sehr ungenau und technisch unvollkommen (siehe oben), was den Schluß zuläßt, daß sie nicht von Leonardo stammt sondern eine Fälschung darstellt. Die Pedale sind zudem in eineer anderen Farbe gehalten als der Rest der Zeichnung, sie stechen auch dadurch hervor, daß ihre Proportionen nicht stimmen. Sie können nachträglich auf der Skizze angebracht worden sein.

Fälschung

Der Skizze entsprechender Nachbau
Foto: Gadfium 2006
Lizenz: gemeinfrei

Das Fahrrad wurde aufgrund der von da Vinci abweichenden Zeichnungsart schnell nicht ihm sondern seinem Schüler und Haupterben Francesco Melzi (* 1491/92; † 1570) zugeschrieben. Beispielsweise übernahm der Spiegel 1974 diese These.[1] Das Fahrrad ist häufig nachgebaut worden.

Der die Zeichnung enthaltende Codex wurde bereits in den 60er Jahren vom Kunsthistoriker und Experten für Manuskripte von da Vinci Carlo Pedretti durchgesehen, dabei wurde von ihm aber nichts von einer Zeichnung eines Fahrrades erwähnt. Vielmehr wurde später bekannt, daß er 1961 diese Blätter gegen Licht hielt und nur leichte Spuren von Kreisen in Feder oder Tinte vermutete.

Im Rahmen der Internationalen Fahrradgeschichtekonferenz an der Glasgow School of Art 1997 wies der Da-Vinci-Forscher Hans-Erhard Lessing diesen Sachverhalt nach[2] und nahm an, daß eine von Leonardo gezeichnete Brunneneimerkette die Fälschung inspiriert habe.[3]

So sah das „Original“ aus, wahrscheinlich von Salaj um 1510 angefertigt

Pryor Dodge, der Autor des Buches „Faszination Fahrrad: Geschichte - Technik - Entwicklung“, kommt zu dem Schluß, daß die Zeichnung (bzw. nur ein kleiner Teil davon) vermutlich von Gian Giacomo Caprotti (genannt Salaj) stammt, ebenfalls einem Schüler von da Vinci, geb. 1493. Er bezeichnet die Skizze des Fahrrades als Hoax. Lediglich die beiden Kreise waren Bestandteil des Codex Atlanticus auf der Rückseite des Blattes 133.[4] Es ist auch möglich, daß diese Skizze von einem Gehilfen da Vincis stammt, der auf Salaj eifersüchtig war.[5]

Die Ergänzungen zu einem Fahrrad wurden dann in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts von Unbekannten angefertigt. Es gilt heute als gesichert, daß die Fälschung zwischen 1967 undf 1974 hergestellt wurde.

Ein letzter Beweis ist das Material des Stiftes. Das angebliche Fahrrad von Leonardo da Vinci wurde mit einem Bleistift mit einer Mine aus Graphit angefertigt. Diese Bleistifte wurden jedoch erst 1558 in Keswick in England erfunden.

Trivia

1993 verfaßte der mexikanische Autor Paco Ignacio Taibo II den Roman La bicicleta de Leonardo (deutsche Ausgabe: Das Fahrrad des Leonardo da Vinci,[6] für den er 1994 den Preis Premio Hammett erhielt.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Nur selten kehre ich zurück. In: Der Spiegel vom 14. Oktober 1974, Ausgabe 42/1974.
  2. Hans-Erhard Lessing: The Leonardo da Vinci Bicycle Hoax. In: Cycle Publishing, 1997.
  3. Falsches Fahrrad in der Pinakothek. In: Der Spiegel vom 21. September 2002, Ausgabe 39/2002.
  4. Pryor Dodge: The Leonardo da Vinci Bicycle Hoax
  5. Giovanni dall'Orto: Leonardo da Vinci In: Robert Aldrich and Gary Wotherspoon: Who's who in gay and lesbian history, London, Routledge, 2002 (2.ed.), S.313f. vgl. [1]
  6. Das Fahrrad des Leonardo da Vinci von Paco Ignacio Taibo II (Broschiert - Juli 1999) dt. von J. Alberts; Berlin: Eisbär 1997, ISBN 3-930057-15-8.