Mythos Rücktritt

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Mythos Rücktritt


Kombinationen von Rücktritt mit Kettenschaltungen gab es zwar, sie haben sich aber nicht bewährt, hier ein Modell aus Mitte der 50er Jahre
Indisches Fahrrad in Afrika: Gestängebremse

Deutschlands Radler lieben den Rücktritt. Der war immer da, das kenne ich so, das muß so bleiben. Komischerweise gibt es diesen Effekt nur in Deutschland, teilweise auch in den Niederlanden. In allen anderen Ländern hat sich der 1903 von Sachs erfundene Rücktritt entweder nicht etablieren können oder ist längst wieder aus dem Straßenbild verschwunden. Daß diese veraltete und unsichere Technik in Deutschland weiter ziemlich beliebt ist, ist logisch nicht erklärbar. Wahrscheinlich sind die Deutschen viel konservativer als andere Nationen.

Es gibt faktisch keine schlechtere Fahrradbremse als den Rücktritt. Selbst die Stempelbremse ist physikalisch gesehen im Vorteil, von ihr gibt es allerdings keine auch nur halbwegs modernen Modelle.

  1. Der Rücktritt ist unsicher! Dies ist der wohl gravierendste Nachteil, man kann nur bei bestimmter Pedalstellung bremsen, die Bremse steht also nicht immer zur Verfügung. Spontane Notbremsungen sind fast unmöglich.
  2. Rücktrittbremsen sind unsicher, weil die Bremsleistung schlecht dosierbar und allgemein zu niedrig ist
  3. Lange Berabfahrten sind quasi unmöglich, da die Bremse überhitzt und brechen kann
  4. In vielen Schaltnaben verändert sich die Bremswirkung je nach eingelegtem Gang
  5. Rücktrittnaben sind schwer
  6. Eine sinnvolle Kombination mit Kettenschaltungen ist nicht möglich
  7. Pedale können nicht rückwärts getreten werden, z. B. zum Positionieren vor dem Anfahren
  8. Rücktrittbremsen funktionieren nur bei funktionsfähiger Kette (ok, die verliert man relativ selten)

Renomierte Hersteller haben den Rücktritt nicht im Programm (Rohloff Speedhub 500/14) oder bieten den unsicheren Rücktritt ausschließlich in Deutschland an. Selbst Fahrräder für Afrika, die extreme Langlebigkeit und robuste Technik benötigen, haben heute keinen Rücktritt mehr sondern Gestängebremsen auf Cantileversockel oder modifizierte Felgenbremsen. Rücktritte haben freilich auch Vorteile:

  1. In der Praxis Wartungsfrei und verschleißarm
  2. weitgehend witterungsunabhängig
  3. robust und zuverlässig, solange sie nicht überhitzen oder gute Bremsleistungen erforderlich sind

Christian Smolik meinte Anfang der 90er Jahre:

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Der Rücktritt gilt als betriebssicherste Fahrradbremse schlechthin (kein Festrosten von Bowdenzügen, keine von der Felge abrutschenden Bremsklötze). [1]

Allerdings bemerkt er dort ebenfalls: „Nachteilig wirkt sich hingegen aus, daß aus dem Tretfluß heraus nahezu eine viertel Umdrehung zurückgetreten werden muß, was den Einsatz der Bremswirkung (sogenannte "Ansprechzeit") verzögert. Bei Kindern sieht man häufig mangels Beinkraft, daß sie noch unter Umständen eine halbe oder gar dreiviertel Umdrehung weiter treten, bis sie ihren Bremspunkt gefunden haben. Das ist eine Kurbelstellung, bei der die Kurbeln in etwa waagerecht stehen um so eine günstigere Wirkung für die Bremsung ausüben zu können. Da vergehen zum Teil wichtige Bruchteile von Sekunden, die den Anhalteweg unnötig verlängern.“ Das obige Zitat von Smolik bezieht sich auf die fahrradtechnik Anfang der 90er Jahre, festrostende Bremszüge sollten wie abspringende Ketten bei einigermaßen Wartung nicht vorkommen, die von der Felge abrutschenden Bremsklötze sind ein Phänomen der Stahlfelgen und sowas tritt heute nicht mehr auf. Somit ist diese Aussage obsolet, es bleiben lediglich die Nachteile des Rücktritts übrig.